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Form - Stoff - Medium

Installation für das Stadtfest Ludwigshafen

Im Herbst wird das Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen eröffnet. Ein philosophisches Zentrum diesen Zuschnitts ist in Deutschland einmalig. Die Bedeutung dieses Zentrums für Ludwigshafen, für Rheinland-Pfalz und Deutschland selbst wird bislang in der Öffentlichkeit noch zu wenig wahrgenommen.
Seit Platon ist es keinem Philosophen mehr gelungen, Philosophie so anschaulich zu erzählen wie Ernst Bloch. Sein Hautverdienst war es meines Erachtens, die zeitgenössische Philosophie auf Ihre Wurzeln zurückzuführen: Die Erziehung der Bürger zum selbständigen Denken und damit auch zur Dialektik, mit dem Ziel ein besseres Gemeinwesen zu entwickeln. Ernst Bloch verfolgte dieses Ziel als Sucher nach den Ursprüngen dieses Antriebes im Menschen, positiv in der Welt zu wirken. Was treibt die Menschen nach einer besseren Welt zu streben, selbst wenn Sie selbst schon Ansehen und Wohlstand genießen? Was ist es, was uns Menschen bewegt, das Bestehende im Sinne eines besseren Zukünftigen immer wieder in Frage zu stellen? Bloch sucht die Antwort in allen ihm zugänglichen Wissensgebieten: In der Philosophie selbst, im Staats- und Rechtswesen, in den Religionen und vor allem auch in den Künsten!
Was liegt also näher, als sich bei einem großen Fest auch dieser Frage zu widmen! Schon die alten Griechen hatten eine ausgeprägte Kultur des Feierns. Die Polis des Stadtstaates Athen war nicht nur die demokratische Uridee, sondern sie war eine Lebenseinstellung: Nur im öffentlichen Raum glaubten die Athener schon 500 a. Chr. alle ihre Talente entfalten zu können. Die griechischen Philosophen waren auf der Suche nach dem großen Gemeinsamen, den Mustern und Grundstrukturen, nach denen sich die Wirklichkeit organisiert. Die griechische Kunst zeigt deshalb keine Portraits, sondern den Bauplan und die Grundform des menschlichen Körpers in idealen Haltungen. Wissenschaft, Kunst und damit die Philosophie haben sich weiterentwickelt. Geblieben sind die Fragen nach dem Ursächlichen, das die Welt zusammenhält und was ihre Entwicklung weitertreibt.
Mit ihrer Festkultur erneuerten die Athener das kulturelle Wissen und vermittelten das Erlebnis der Einheit der Polis. Bestandteil dieser Feste waren immer auch Ausscheidungen in den damals üblichen Wettkampfdisziplinen zu denen neben z.B. Faustkampf und Diskuswerfen übrigens immer auch die Dichtung gehörte! Auch hier gibt es Parallelen zum Stadtfest.
Die Installation »Form-Stoff-Medium« versucht im Stadtraum Ludwigshafens eine visuelle Klammer zu bilden. An Knoten und Kreuzungspunkten werden Netzbahnen und Stoffe verspannt, die über die Form der Anbringung und ihre Farben als zusammen gehörend zu erkennen sind. Diese Installationen schaffen eine Metastruktur über den Wegebeziehungen der Ludwigshafener Innenstadt. Der Titel »Form - Stoff - Medium« ist mehrdeutig interpretierbar: Damit wird ein assoziativer Raum geschaffen, in dem Reflexion über Grundfragen des Seins stattfinden kann.
Die einzelnen Installationen sind farbiger Disput, also Rede und Gegenrede, das wichtigste Werkzeug um die Realität von allen Seiten her zu betrachten und gleichzeitig wichtigstes Instrument jeder gesellschaftlichen Meinungsbildung noch heute. Sokrates, Sohn eines Bildhauers und einer Hebamme, übrigens anfangs selbst Künstler, prägte für seine Form der Dialektik, die eng mit der Moralfrage verbunden war, den Begriff der Mäeutik, also der Hebammenkunst: Über den Dialog sollte sich Politik moralisch selbst begründen und damit einer besseren Welt zur Geburt zu verhelfen.
Für Sokrates hatte dieser Anspruch, wie wir wissen, fatale Folgen. Als Verführer der Jugend konnte er zwischen Freitod und Flucht und damit verbundener ewiger Verbannung wählen. Während er den Schierlingbecher leerte, wählte Ernst Bloch, dem das Gleiche vorgeworfen wurde, beinahe zeitlebens die Verbannung, um - und das sehe ich als wirklich gutes Zeichen für diese Welt - am Ende seiner Tage (und darüber hinaus) heimkehren zu können an den Ort, wo seine Suche nach »Heimat« im eigentlichen Sinne einst begann.
Der Titel der Installation bezieht sich auf Aristoteles. Nachdem er von Alexander dem Großen nach Athen zurückkehrte, den er in seiner Jugend unterrichtet hatte, gründete er eine Schule des Denkens. Der Unterricht in dieser Schule fand quasi im Gehen statt: Während er und seine Schüler durch Laubengänge wandelten, entwickelten sie im Gespräch neuen Ideen und lernten das Denken. Aristoteles Leistung war es Platons Idee von der Differenz zwischen der Welt der Ideen und der Welt der Erscheinungen zu verallgemeinern: Die Begriffe von Idee und Erscheinung werden abgelöst durch die Begriffe Form und Stoff. Wobei Form heute wohl am besten zu übersetzen wäre mit Design und Stoff mit Material. Das geformte Material wird wiederum zum Ausgangspunkt für die nächste, größere und damit komplexere Struktur, die auf den Eigen-schaften des Materials aufbaut: Der Ziegelstein ist die Form für den Ton, aber der Stoff für das Haus. Aristoteles gliedert die Welt in eine Abfolge von Form-Stoff-Verhältnissen und nähert sich so einer Bestimmung des Unbestimmten: Aus dem diffusen Lärm von Produktion und Alltagsvollzügen wird plötzlich Musik, aus dem unbehauenen Geröll täglicher Kommunikation entsteht plötzlich ein Gedicht, welches sich wiederum über das Medium Sprache vermittelt.
Form - Stoff - Medium erzählt diese Geschichte in abstrakter, geometrischer Form. Über die Proportionalität der Längen und Winkel, über das Verhältnis der Farben, die übrigens auch die Farben der Stadt Ludwigshafen und des Stadtfestes sind, wird der Vorschein einer übergeordneten Struktur sichtbar, die aus dem Chaos Ordnung schafft. Sinnfällig erlebbar wird dieser Ordnungseffekt über die Orientierungsfunktion der Objekte: Wer sie sieht, weis wo er sich befindet, wer sich verläuft sucht die Farbagglomerationen, die hoch zwischen Bäumen und Gebäuden leuchtet und findet dort einen Wegweiser.
Das 21. Jahrhundert braucht im übergeordneten Sinn solche Orte der Orientierung: Sie müssen einfach zu finden sein und dort müssen Fragen gestellt und dialektisch verhandelt werden. Es darf aber nicht nur einen Ort geben, sondern eine Vielzahl dieser Orte, denn aus der Polis mit ihren vielleicht zehn- bis vierzehntausend Einwohnern ist eine 6 Milliarden große Weltbevölkerung geworden, die nach Demokratie und Mitbestimmung strebt. Demokratie aber ist anstrengend und sie setzt Bildung voraus. Nur wenn es viele Orte politischer und gesellschaftlicher Bildung und Auseinandersetzung gibt, gibt es die Chance die Welt positiv zu verändern.
Betrachten wir also »Form - Stoff - Medium« als Vorschein eines Anfangs: Ge
hen wir zurück zur Geometrie und Farbenlehre, aus deren Quellen auch die Philosophie an ihren Anfängen immer wieder schöpfte um Konkretes abstrakt zu verhandeln und um aus der Abstraktion heraus das Verhältnis zur Welt neu zu bestimmen.
 

Weitere Informationen:
Concept Nouveau, Schloßgärtnerei, 69257 Wiesenbach/Baden
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